Im Aikido gibt es eine Reihe von Begriffen, die für die Lehre von zentraler Bedeutung sind. Oft ist es nicht möglich diese unmittelbar zu übersetzen, da mit ihnen weiter gefaßte Prinzipien und Ideen ausgedrückt werden. Einige dieser Begriffe sind im Folgenden versuchsweise näher erläutert.

ai nuke ー 相 抜 け – „beiderseitiges Entweichen“

Der Ausdruck bezeichnet den Ausgang eines Zweikampfes, bei dem beide Opponenten unbeschadet bleiben. Im Aikido wird dieses Prinzip oft als ein Idealziel gesehen: im besten Fall sollte ein Konflikt auf solche Weise gelöst werden, daß die Angriffsenergien und zerstörerischen Kräfte vollständig abgeleitet werden und keiner der Beteiligten zu schaden kommt.

ai uchi ー 相 撃 ち – „beiderseitiges Töten“

Der Ausdruck bezeichnet den Ausgang eines Zweikampfes, bei dem beide Gegner einander einen tödlichen Schlag versetzen. Im klassischen Japan war die Bereitschaft, einen Gegner durch Aufgabe des eigenen Lebens zu bezwingen, oft ein Mindestziel. Diese zielgerichtete Konzentration auf das Ziel, den Gegner ungeachtet der eigenen Unversehrtheit zu überwinden, scheint in vielen irimi-Techniken im Aikido durch, wo man in das Innere der gegnerischen Abwehrhaltung eindringt, um einen Angriff abzuwehren.

atemi* ー 当 身 – wörtl. „den Körper treffen“

Meist versteht man unter atemi einfach einen Schlag gegen den Körper; zum Beispiel im Karate, wo das Hauptziel des Trainings darin besteht, einen Gegner mit einem einzigen Faustschlag oder Fußtritt vernichten zu können. Das war schon im alten budo so, wo atemi bedeutete, die lebenswichtigen Punkte des Gegners zu treffen und ihn dadurch bewußtlos zu machen oder zu zerstören. ateru bedeutet zum einen ‚treffen‘; zum anderen bedeutet es aber auch ‚abschätzen‘, ‚zuteilen‘. Jemanden oberflächlich zu verletzen oder einen Knochen zu brechen ist nicht atemi.

Im Aikido wird atemi allerdings nicht zur Zerstörung eingesetzt. Hier dient es dazu, die Energie des Partners zu kontrollieren, seinen Angriffswillen und seine Konzentration zu stören. Dabei ist eine Berührung nicht zwangsläufig notwendig. Heutzutage wird atemi selten gelehrt, einerseits, um Anfänger vor Verletzungsgefahr zu schützen, andererseits, um die Übenden durch das Studium von atemi nicht von den eigentlichen Techniken abzulenken, und um Mißbrauch vorzubeugen.

irimi* ー 入 身

O-Sensei sah irimi als die Wurzel des Aikido an.
Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Zeichen für ‚eintreten‘, ‚hineingehen‘ und dem Zeichen für ‚Körper‘. Darin drückt sich ein Eindringen in den ‚Körper‘, die Sphäre, den Einflußbereich des Gegners aus, aber gleichzeitig auch ein Hineinbringen des eigenen Körpers in denjenigen des Gegners, um dessen Schutzhaltung zu durchdringen und diesen ‚von innen‘ zu überwinden. Am deutlichsten wird dies beim waffenlosen Vordringen in das Innere der Reichweite eines bewaffneten Gegners.
Andererseits bedeutet irimi auch ein Hereinholen des Gegners in das eigene Innere. Ihn zu umschließen, eins mit ihm zu werden, das ist irimi.

kamae* ー 構 え – „wachsame, aufmerksame Haltung“

Der Begriff ist abgeleitet aus dem Zeitwort kamaeru, welches ‚herstellen‘, ’sich vorbereiten‘, ‚intensiv erwarten‘, ‚auf alles achten‘, ‚eine aufmerksame Haltung einnehmen‘ bedeutet.
Mit einem Schwert ist das übliche kamae ein migi hanmi (rechter Halbstand/Dreiecksstand), während mit dem jo oder mit bloßen Händen hidari hanmi (linker Halbstand) die Grundstellung ist. Letztlich sollte aber das Ziel sein, kamae zu überwinden, um ständig in alle Richtungen aufmerksam zu sein und auf jede Situation richtig reagieren zu können.

kata ー 型 / 形

Üblicherweise sprechen wir nur im Zusammenhang von Stock oder Schwert von kata. Dabei besteht der überwiegende Teil unseres Trainings aus kata: festgelegte Bewegungsfolgen mit einer klaren Rollenverteilung von „Gewinner“ und „Verlierer“. Erst im Fortgeschrittenen-Training beginnt man, dieses Muster aufzuweichen, z.B. beim randori oder freien Training oder wenn der Angreifer aufgefordert wird, bewußt auf Lücken in der Verteidigungshaltung des nage zu achten. Die klare Bewegungsfolge und Rollenverteilung erlaubt es aber gerade, Prinzipien wie Abstand, Timing, Stabilität und Ki-Fluß zu studieren, ohne von Situationswechsel und -veränderungen abgelenkt oder irritiert zu werden, so daß sie später beim freien Bewegen verfügbar sind.

kokyū* ー 呼 吸

Ausatmen und Einatmen, das ist kokyū. Ein guter Atem geht gleichmäßig, lang und tief, und ist die Basis für die natürliche Bauchatmung des kokyū. Wenn sich dabei der Körper immer wieder von neuem mit frischem und reinem ki füllt, ist jeder Atemzug zugleich ein Reinigungsvorgang.
Aber erst wenn es gelingt, die rein körperliche Seite des Atmens zu transzendieren, um die Energie des Universums selbst in uns aufzunehmen, können wir beginnen, mit dem Universum zu einem einzigen Körper zu verschmelzen. Dabei müssen Körper und Geist frei von Verspannungen sein, die den freien Fluß des ki behindern. Wenn das universelle ki, durch unsere Körper kanalisiert, frei in jede gewünschte Richtung strömen kann, steht uns die universelle Energie als Atemkraft kokyū-ryoku zur Verfügung.

kuzushi ー 崩 し – kuzu(su): „zerstören“, „(ein Gebäude) abreißen“

Ein Gegner kann nur überwunden werden, wenn es gelingt, sein Gleichgewicht zu zerstören, ihm seine Stabilität zu nehmen. Wenn wir versuchen eine Technik auf einen Gegner anzuwenden, ohne dabei Einfluß auf seine Stabilität zu nehmen, haben wir keine wirkliche Verbindung zu ihm, und unser Bemühen wird erfolglos sein. Ob ein Angriff statisch oder dynamisch erfolgt, spielt dabei keine Rolle. In jedem Fall muß der Gegner in Bewegung gesetzt werden, bis ein Zustand erreicht ist, in dem die eigene Position stabil und die des Gegners instabil ist.
Ein Mensch, der in seinem Zentrum konzentriert ist, ist im Gleichgewicht. Das Ziel ist es also, eine Verbindung zum Zentrum des Gegners aufzubauen, ihn aus seiner Mitte zu holen (physisch und psychisch), um ihn zu kontrollieren. Auf diese Weise sind kuzushi und musubi unlösbar miteinander verbunden.

ma-ai* ー 間 合 い – „angemessener Abstand“, „Intervall“

Das Zeichen für ma, Abstand, setzt sich zusammen aus den Zeichen für Tor und Sonne: ein Lichtstrahl, der durch einen Türspalt fällt.
ma ai meint also den maßvollen Abstand zwischen tori und uke, der für das Spiel von Angriff und Verteidigung notwendig ist. Besonders im Umgang mit jo und bokken wird dies deutlich. Während uke eine Angriffsposition sucht, die im wesentlichen von der Reichweite seines Angriffs bestimmt wird, sucht tori eine Position einzunehmen, die ihm eine angemessene Reaktion (zeitlich und räumlich) auf den Angriff erlaubt.

masakatsu agatsu ー 正 勝 吾 勝 – „Wahrer Sieg ist Sieg über das Selbst“

Ueshiba Morihei war der Ansicht, daß wahrer Sieg (masakatsu) nur erreicht werden kann durch die Überwindung des eigenen Selbst (agatsu), was er in dem „Wahlspruch“ masakatsu agatsu – Der wahre Sieg der Selbstbezwingung – ausdrückte. – (Auf der Seite „O-Senseis Regeln für das Aikido-Training“ findet sich eine Kalligraphie O-Senseis dieses Spruches.)

mushin ー 無 心 – wörtl. „kein Geist“

Gemeint ist ein Bewußtseinszustand der von abschweifenden Gedanken und bewußtem Denken unbeeinträchtigt ist. Gelegentlich falsch verstanden als bloße Spontaneität, meint mushin mehr als das. Vielmehr kann es als der Zustand beschrieben werden, in dem Konzepte und Prinzipien derart verinnerlicht sind und beherrscht werden, daß sie frei und unmittelbar verfügbar sind ohne explizit bewußt gemacht werden zu müssen.

musubi ー 結 び – musu(bu): „binden“, „vereinen“, „festlegen“, „befestigen“

Jedes mal wenn zwei Menschen sich begegnen, gehen sie eine Verbindung ein. So auch im Aikido, wenn uke und nage aufeinandertreffen und ihre Rollen definieren. Ob man davon spricht, die Ki-Flüsse zu vereinen, die Kraftlinien zusammen zu bringen, die Intentionen oder Bewegungen in Einklang zu bringen, in jedem Fall muß ein Zusammenspiel hergestellt werden, so daß aus der einzelnen Bewegung – ukes Angriff – eine gemeinsame Bewegung von uke und nage wird. Erst durch diese Verbindung kann nage dem Gegner die Stabilität nehmen und seine Bewegung kontrollieren.

omote : ura* ー 表 / 裏

Die zwei Seiten einer Medaille. – Vereinfacht sind mit omote und ura die Vorder- und Rückseite einer Sache gemeint. Gleichzeitig klingen aber auch die Gegensatzpaare ‚Äußeres – Inneres‘, ‚Oberfläche – Untergrund‘, ‚öffentlich – privat‘, ‚offenliegend – verborgen‘ mit, so wie zB der äußere Gesichtsausdruck eines Menschen nicht unbedingt seinen inneren Gemütszustand widerspiegelt.
Mit omote waza werden die Techniken bezeichnet, bei denen man von Angesicht zu Angesicht in den Gegner hineingeht, und mit ura waza diejenigen, bei denen man in den Rücken des Gegners geht. Die meisten Techniken sind in omote waza und ura waza ausführbar; manche aber nur entweder in omote waza oder in ura waza. Es heißt, letztere haben in einem echten Kampf keine praktische Anwendung.

sankaku-maru-shikaku

In seinen Lehren verwendete Ueshiba Sensei auch immer wieder die Symbolik von Dreieck – Kreis – Quadrat. Das Dreieck kann symbolisch für den Menschen angesehen werden, der Kreis für das spirituelle Universum, das Quadrat für die materielle Welt in der wir Leben. Asai Sensei sagt, Ueshiba Sensei habe diese drei Symbole immer in der obengenannten Reihenfolge genannt: Indem der Mensch seine Bestimmung im spirituellen Universum erkennt, findet er seinen rechtmäßigen Platz in der Welt.

In O-Senseis eigenen Worten: Der Körper ist das Dreieck, der Geist ist der Kreis. Das Dreieck steht für die Erzeugung von Energie und ist der physikalisch stabilste Stand. Der Kreis ist das Symbol für Gelassenheit und Perfektion, die Quelle unbegrenzter Techniken. Das Quadrat drückt Festigkeit aus, die Basis angewandter Kontrolle.

shoshin ー 初 心 – „Anfängergeist“

Lernen und Trainieren im Aikido erfordert ein gewisses Maß an Unvoreingenommenheit. Zwar geschieht das Üben der Techniken durch ständiges Wiederholen; aber strenggenommen ist jedes einzelne Mal das erste Mal: Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluß steigen. Keine zwei Angriffe sind gleich, und damit können auch die Reaktionen darauf nicht gleich ausfallen.
Mit der Vorstellung „diese Technik kenne ich schon“, werde ich eine mir unbekannte Variante einer Technik möglicherweise für falsch halten, oder mir mögen neue Details oder Prinzipien einer Bewegung entgehen. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich eine Geisteshaltung zu bewahren, die eine Offenheit und Unvoreingenommenheit gegenüber dem Lernen gewährleistet: die Geisteshaltung des Anfängers.

tai sabaki* ー 体 捌 き

Üblicherweise verstehen wir unter dem Begriff tai sabaki die Bewegung irimi-tenkan. Dabei ist mit tai sabaki eher eine allgemeine Form der Körperbewegung gemeint. Aus dem Zeichen für ‚Körper‘ und einem Zeichen, das so vielfältige Bedeutungen tragen kann, wie ‚verkaufen‘, ‚verteilen‘, ‚richtig stellen‘ oder (in anderer Schreibweise) ‚urteilen‘, ‚Stoff zerteilen/-schneiden‘, ergibt sich die Bedeutung, den Körper, d.h. seine Positur, in Ordnung zu bringen, richtig zu stellen. Im Aikido bedeutet das, die Körperposition so zu verändern, daß das eigene Gleichgewicht beibehalten wird, während der Gegner sein Gleichgewicht oder zumindest die überlegene Position verliert.

tenkan* ー 転 換

ten bedeutet ‚drehen‘, ‚ändern‘, ‚umwälzen‘; kan bedeutet ‚tauschen‘. tenkan wird verwendet in Sinne von Richtung ändern; damit kann neben der Bewegungsrichtung auch die Geisteshaltung gemeint sein. Die Bewegungen beim Aikido bestehen zum großen Teil aus Richtungs- und Positionswechseln, und letztlich kann jede Änderung des Zustandes und der Position mit tenkan bezeichnet werden. Daher sind irimi und tenkan die Vorder- und Rückseite derselben Sache.

zanshin ー 残 心 – wörtl. „bleibender/ausgewogener Geist“

Auch nach dem Ausführen einer Aikido-Technik muß eine wachsame, stabile Haltung beibehalten werden. In physischem Sinne bedeutet das einfach, am Ende einer Technik einen korrekten, sicheren Stand einzunehmen. In mentaler Hinsicht meint zanshin, in jeder Phase der Bewegung – im Moment des Angriffs, während der Technik, nach Ausführen der Technik sowie zwischen zwei Angriffen – dieselbe wachsame Geisteshaltung zu zeigen, denn das Ende einer Technik zeichnet sich durch keine wesentliche Besonderheit gegenüber dem Anfang oder dem Moment zwischen zwei Techniken aus. Jederzeit kann ein Technikwechsel oder ein weiterer Angriff durch den Gegner oder aus anderer Richtung durch einen neuen Angreifer erfolgen.

Die Erklärungen zu den mit *) gekennzeichneten Begriffen gehen auf Ausführungen von Tamura Sensei zurück, wie sie in der Zeitschrift Der Kreis (Nr. 9-13) veröffentlicht wurden.