Die Sache mit der Selbstverteidigung

Veröffentlicht in: Aikido, Blog

Vorgebracht von Aikido-Anfängern, von Aussenstehenden oder von Vertretern anderer Kampfkünste und Kampfsportarten taucht immer wieder die Frage auf, ob denn Aikido eine effektive Methode zur Selbstverteidigung darstellt. Auf den ersten Blick scheint die Frage vollkommen klar, auf den zweiten Blick aber sollte man sich vielleicht fragen, wonach hier eigentlich gefragt wird.

Aikido als Selbstverteidigung?

Wenn wir mal alle Spiritualität und Philosophie von Liebe und Harmonie außen vor lassen, versteht sich Aikido als Kampfkunst in der Tradition der japanischen Budo, und daher ist es nur recht und billig, nach seiner Anwendbarkeit oder Wirksamkeit in einer Kampfsituation zu fragen.

Aikido wird so geübt, daß in einem formalen, kontrollierten Kontext kampfähnliche Szenarien simuliert werden, indem einer aggressiven oder offensiven Handlung mit speziellen Techniken und Prinzipien begegnet wird. Das entspricht im wesentlichen der Art, wie man übt und lernt, sich selbst zu verteidigen. Ist daher Aikido also eine Selbstverteidigung oder ist Selbstverteidigung sein vorrangiger Zweck?
Ich denke, nein. Ich kenne auch keinen Aikido-Übenden, der schon eine längere Zeit dabei ist und von sich sagt, daß er Aikido trainiert, um eine Selbstverteidigung zu lernen (genau so wenig, wie jemand behauptet, Mitglied im Schwimmverein zu sein, damit er nicht ertrinkt). Was nicht heißen soll, daß die Fertigkeit, sich zu verteidigen, nicht ein Ergebnis des regelmässigen Trainings ist. Offenbar aber ist Aikido für die meisten Übenden etwas anderes oder mehr als eine Methode zur Selbstverteidigung.
Auf das „mehr“ will ich jetzt nicht eingehen; bleiben wir mal bei dem Kampf-Aspekt. Hier drängen sich mir verschiedene Fragen auf:

  • Wann ist ein Kampf „unausweichlich“?
  • Wo fängt eigentlich „Kämpfen“ an?
  • Wieviel Aktion oder Initiative von meiner Seite ist erforderlich, um zu sagen, daß ich kämpfe?
  • Und was heißt eigentlich „effektiv“?
  • Was ist „effektiv“?

Ist Aikido effektiv? Nein, Aikido ist weder effektiv noch ineffektiv. Aikido ist erst einmal ein Werkzeug, so daß die eigentliche Frage lauten muss: kann man Aikido effektiv einsetzen? Ja, man kann. Aber wer ist „man“? Kann ich es? Kannst Du es? Bin ich überhaupt ein Kämpfertyp? Kann ich überhaupt reagieren oder verfalle ich angesichts von Aggression und Gewalt in die Kaninchenstarre? Oder werfe ich im Eifer alle Aikido-Prinzipien und Techniken über Bord und verfahre nach der Methode Haudraufundschluß?
Und wann kann ich sagen, ich habe mich „effektiv“ verteidigt? Wenn ich der aggressiven Absicht ausgewichen und entkommen bin? Wenn mein Gegner die Flucht ergriffen hat? Wenn er am Boden liegt? Wenn ich ihn mit einem schmerzhaften Gelenkhebel zur Aufgabe gezwungen habe? Wenn ich ihm den Arm oder Kiefer gebrochen habe?
Letztlich kommt es doch immer wieder darauf an, was jeder Einzelne in einer entsprechenden Situtation einerseits bereit ist und andererseits in der Lage ist, daraus zu machen.
Die rechtliche Seite

Abgesehen von jeglicher moralisch-philosophischer Diskussion um Notwehr und Selbstverteidigung und der dabei eingesetzten Gewalt ist auf jeden Fall wichtig, zu wissen, was die Rechtsprechung dazu sagt.
Juristisch wird Selbstverteidigung als Notwehr bezeichnet, und was darunter zu verstehen ist, legt einerseits das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB § 227) und andererseits in nahezu gleichem Wortlaut das Strafgesetzbuch (StGB § 32) fest. Wichtig sind hier wohl noch die StGB §§ 33, 34 und 35, die sich mit der Überschreitung der Notwehr und der Angemessenheit der Mittel befassen.
Beachtenswert sind im allgemeinen Zusammenhang dann noch die BGB §§ 859 und 860 zur Selbsthilfe des Besitzers und Selbsthilfe des Besitzdieners sowie aus der Strafprozeßordnung StPO § 127, der regelt, unter welchen Umständen jedermann zu einer vorläufigen Festnahme berechtigt ist.
Bei aller juristischen Regelung sollte man aber nicht vergessen, daß es bei Rechten auch immer ganz wesentlich um die Rechte des Anderen geht.

So, und jetzt weiter im Training. Hier, fass mein Handgelenk!

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